Ich finde die Ausführungen von Lanrezac ebenfalls schief bzw. zu drastisch und damit letztlich destruktiv, denn ich könnte ohne groß nachzudenken mehrere Beiträge zur Ausgestaltung durch Mitspieler nennen, wie Anfertigen von Karten, Schreiben von Lexikonartikeln, suchen von Bildern, bearbeiten von Bildern, Arbeiten am Forendessin, Mitwirken in der Spielleitung, Ereignissimulationen, Vermittlungsversuche etc. pp; einer meiner Mitspieler (allerdings in der tat kein klassischer MNler) meinte als Moderator sogar mal schlampig erstellte Beiträge ausbessern zu müssen, was Rechtschreibung und Zeichensetzung, Formatierung usw. anging (was ich mich Anno 2007 allerdings zu unterbinden genötigt sah), auch werden die Mitspieler in den meisten MNs in die Ausgestaltung mit einbezogen und geben vielfach auch von selbst eigene Anregungen.
Daß so viele MNs Monarchien sind - ich will nicht absprechen, daß mancher Lust an Titel und Lametta hat - dürfte aber auch zu einem guten Teil daran liegen, daß das praktisch ist, wenn man inaktive Regierungen/Parlamente und andere Störungen ohne Adminkeule auflösen kann, sondern mit "legitimem Recht" des Monarchen. Ich weiß nämlich aus eigener Erfahrung als MN-Betreiber nur zu gut, wie unschön das ist, wenn plötzlich der vom Volk gewählte Präsident inaktiv wird und kein Gesetz mehr unterzeichnet oder Minister ernennt usw. und die Diskussionen losgehen, wie damit umgegangen werden soll, weil die ersten Neuen wiederweglaufen, weil sie nicht eingebunden werden können. Im "Idealfall" ist der Stellvertreter des jeweiligen Spielers und das Gremium für die Absetzung des Amtsinhabers auch inaktiv. Viele MN-Monarchen sind definitiv vor allem erste Diener ihres Staates, indem sie halt den Verwaltungskram erledigen - zumindest bis ihnen etwas absolut gegen den Strich geht.
Was die Kurzposts ("Billigposts") angeht, dienen sie ja oft lediglich, um zu signalisieren, daß man zur Interaktion zur Verfügung steht oder anwesend ist.
Aus:
Zitat
Setzt sich an den Tresen.
Ein Glas Wein bitte.
kann ja durchaus etwas tiefschürfend-Philosophisches entwickeln. Kann aber freilich auch völlig belanglos weitergehen.
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"Rollenspiel" bedeutet ja im Grunde, daß man eine Rolle spielt, aber noch nicht, daß man stilistische Meisterwerke liefert. Vielleicht sollte man das darüber Hinausgehende RPG-Stil nennen oder literarischen bzw. dramatisch-epischen Stil, um das zu differenzieren. (Die Kombination langer Gedanken- und Handlungsbeschreibungen mit direkter Rede ist ja eher eine Mischform; "klassische" Dramen kennen ja auch nur recht kurze Regieanweisungen.) Wo schreibt denn Goethe mal mehr als ein paar Worte Regieanweisung? Ich habe mir gerade den Faust gegriffen, da kann man lange suchen.
Wobei ja sich die Frage stellt, was "Rolle" ausmacht. Im Grunde ist das ja eine Funktion in einem Gefüge. Die Rolle unterscheidet sich durch die Rolle im wahren Leben durch verschiedene Aspekte:
a) Aufgaben Der Figur
b) Herkunft, Werdegang, Qualifikationen (Ausbildung)
c) gesellschaftliche Verhältnisse in einer MN
c) politische und sonstige Einstellungen (ein strammer Linker wird das als Resultierende von b und c ansehen, ein Liberaler oder Konservativer nicht oder nur zum Teil)
d)Wechselwirkungen zwischen den Punkten
Ein absolutes Rollenspiel wäre rein von dem Streben nach Perfektion in der Darstellung geprägt. Dieses funktioniert in den MNs in der Regel nicht, weil die meisten Spieler es nicht wollen (weltanschauliche Geneigtheit, Zeitaufwand) oder nicht können - wobei es natürlich keiner kann, wenn man absolute Ansprüche stellt.
Wenn es klappen soll, dann müssen meist Bezüge zum RL da sein, also zeitgeistige RL-Positionen in Deutschland vertretbar oder kritisierbar/aufgreifbar sein. (Mit der merkwürdigen Ausnahme: Niemals tagesaktuelle negative Ereignisse wie Corona oder eine Finanzkrise aufgreifen, jedem der das macht ist die Empörung oder zumindest das Unken garantiert!)
In Dreibürgen clasht etwa das 19. Jahrhundert auf das 21 bzw. debattieren die Vertreter miteinander. Würde man verlangen mit den Positionen aus der Jahrhundertwendezeit auszukommen, würden sich viele sehr schwer tun oder wegbleiben. Das merkte man immer in Ländern, die näher dran blieben, auch in Korland spüre ich es immer, daß sich die Spieler sehr schwer damit zu tun in den Mustern von - sagen wir mal -1930 bis 1950 zu denken. Wobei es nicht nur fehlendes Wissen ist, sondern manchen ist das zu surreal oder zu geschmacklos.
Beispiel gefällig? Eine Debatte über die Abschaffung des Stichentscheids über die Berufstätigkeit der Ehefrau, bei der die (gemäßigt) "liberale" Fraktion nicht mit Reden über Gleichstellung und Gleichberechtigung auftritt, sondern mit Argumenten dieser Art aufwartet (oder das von ihr explizit oder implizit erwartet wird):
Zitat
"zwar ist nicht zu verkennen, daß die Hausfrauenehe die natürliche und vorzuziehende Form der Ehe ist, weil sie den Veranlagungen und Neigungen des weiblichen Geschlechts am besten entspricht, insbesondere auch der durchschnittlich höheren Kraft und technischen wie sonstigen Intelligenz des Mannes Rechnung trägt, dennoch ist nicht zu verkennen, daß manche Ehefrauen dessen ungeachtet den inneren oder äußeren Wunsch verspüren, berufstätig zu sein, oder aber doch - ungeachtet der bereits erwähnten durchschnittlich höheren Intelligenz des Mannes - die größere Einsicht in unzureichende Einnahmen aus dem Gehalt des einen Ehegatten haben. Auch mit Blick auf aus der Untersagung resultierende zunehmende Ehescheidungen, sehen wir es als notwendig an, von der bisherigen Rechtslage uns zu verabschieden und - wenigstens in bestimmtem Maße - der Ehegattin auch ohne Einwilligung des Gatten - jedenfalls wenn dies ohne Vernachlässigung des Haushalts möglich ist - zu ermöglichen, in die Erwerbsarbeit zu treten."
Hier sind die Spieler aber oft erstaunlich "folgsam" und versuchen sich zwar dran, sich an anderen Nullpunkten auszurichten, aber irgendwann wird es zäh geht es in die Inaktivität, weil es zu viel in Grübelei ausartet oder ihnen es keine Freude macht, immer nur Meinungen (einer vergangenen/fiktiven Welt) zu behandeln statt ihre Meinung einzubringen. Wobei es natürlich auch die (vielen) Leute gibt, die dann eher in Richtung Empörung gehen, weil sie nicht so rollenspielig denken oder es auch einfach nicht "abkaufen", daß das noch Rollenspiel sei.
Eine andere potentielle "Unsitte" ist es zuweilen, sich über die gespielte weltanschaulich antagonistische Rolle übermäßig lustig zu machen, indem man eine Karikatur daraus macht, aber die Grenzen sind da bekanntlich fließend, wandelnde Stereotypen Karikaturen gibt es ja auch RL. Könnte natürlich auch sein, daß mancher alle Leute, die das Gegenteil von ihnen selbst denken, für ausgemachte Idioten hält.
Schließlich gibt es einen Aspekt, den ich mir noch nie so recht erklären konnte: Simuliere ich eine Diktatur, was ja fast immer Rollenspiel ist, gibt es einen starken Drang ins Kabinett und andere Staatsämter, aber kaum einen in die Opposition auf der Straße. Das könnte man jetzt in Richtung Lanrezacs Kaisersache deuten. Aber das glaube ich nicht so recht. Vielleicht ist es die fehlende Detailkenntnis (*), oder das unwohle Gefühl, sich vorzustellen, wie man sich vielleicht selbst als Unterworfener in so einem Regime verhalten würde. Denn als nordkoreanischer Normalbürger wird man sich vielleicht eher denken können als in Kims Kabinett zu sitzen.
(*) "Jawohl mein Führer" zu rufen und mirt markigen Worten beizupflichten ist halt doch eine einfachere Geschichte als die kleinen Freiräume asuzuloten, die man hat sich über das Regime lustig zu machen, oder Apparatschiks mit den eigenen "Glaubenssätzen" auszumanövrieren, oder sich auch nur als Unterworfener des Autoritären und Totalen zu denken, der gehorchen muß.
Generell sind die MNs ja irgendwie Ort der lauten Töne und der handfesten Gegensätze. Man sieht es doch selbst hier wo noch manchem Verfechter des Rollenspiels das Debattieren als das Diskutieren näher ist. Auch die Rollenspielanhänger in den MNs haben meist recht dezidierte politische und sonstige Ansichten. Daß aber nicht auch - im Grunde überall - Platz für anderes wäre, wie Lanzrezac meint, scheint mir verfehlt. Es ist ja nicht so, daß die klassischen MNler Rollenspieler ausgrenzen oder nicht akzeptieren würden, sie haben allerdings eben oft andere Motivationen und werden dem Rollenspieler nicht immer mit den gleichen Finessen entgegentreten.
Ich persönlich sehe mich übrigens weder als das eine noch das andere, denn ich schreibe durchaus Posts mit seitenweise Begleittext, mir sind aber auch Kurzposts nicht immer fremd, versuche aber durchaus "Qualitätsposts" auch dementsprechend zu beantworten. Aber im Eifer des Gefechts, oder anderen mißlichen Umständen, da kommt es vor. Mit manchen Themen kann man wohl auch einfach nichts anfangen, oder zumindest noch nicht oder nicht mehr.