1. Internationaler Goldlöckchen Dichterwettstreit 2012

  • Ich habe ausgiebige Studien zur Kunst unternommen und kann Ihnen versichern, wirklich schiefe Reime sind wiederum eine eigene Kunstform. Doch die höchste Vollendung aller Lyrik stellt die von mir entwickelte Gattung des "Libretto Mortale" dar. Diese Form ist dermaßen halsbrecherisch, dass nur die elitärsten aller Kunstschaffenden vermögen, überhaupt darüber nachzusinnen. Ich selbst versuche seit geraumer Zeit ein Libretto Mortale zu schreiben und es will mir nicht gelingen. Einem Meister dieser Form würde ich umgehend einen Adelstitel und Ländereien vergeben. Doch mir ist noch keiner begegnet.

  • Libretto Mortale? Nichts einfacher als das. Gehen Sie zur UVNO und holen sich dort die Protokolle der Vollversammlung sowie alle in der Bibliothek befindlichen Gesetze. Suchen Sie sich dort die längsten , ödesten, verzwicktesten Konventionen und Beschlüsse raus. Würzen sie es mit passenden Redebeiträgen. Das ganze bringen Sie in einigermaßen singbare Form. Das sollte es schon gewesen sein. Aber probieren Sie es besser aus. Lassen Sie Musik drum schreiben, treiben Kettensträflinge in die Oper und lassen das aufführen. Sie werden merken, die meisten werden Sie damit totgelangweilt haben.
    Wobei vermutlich die Mitwirkenden schon die Proben nicht überstehen werden. Sie werden in Wahnsinn oder Selbstmord enden....


    Können Sie sich vorstellen, ein mittleres UVNO-Konstrukt in angepasster Form einzustudieren und solange zu singen bis es sitzt? :D

  • Ich reiche ein:


    Unter der Brücke durch Schütteln schwarzen Wassers von Venedig
    Schlagen Flammen durch die Ritzen in den Fensterläden.
    Das Publikum weiß, dass bald die Glocken läuten und vibrieren.


    Ein winziger Verdrängungswettbewerb versteckt sich unter dem Hut,
    Und nur ein Teil des Getriebes wird geölt und gesalbt.


    Ein Bankdirektor, den die Gäste jedoch nicht gewählt haben
    - ein Fest der Stunde ist überall -
    Wusste sogar die Zeit, auch wenn die Sonne die Nacht nicht entzündete.


    Im Schein von einem Glühwürmchen in scharlachrotem Kleid
    Quietscht das Gras wie ein Mädchen aus Lillemark.


    Gondeln schweben und die Leute umarmen die Brücke.

  • Das Libretto Mortale führt Wortkreationen auf, auf die beim besten Willen kein Reim zustande kommen mögen möchte, es zögert den Reim dann aber in Verbindung mit Opernmusik bis zu ein für das Publikum unerträgliches Maß hinaus, bis zu dem Zeitpunkt, wo der Künstler dem künstlerischen Tode nahe scheint, um dann mit Paukenschlag einen glorreichen, völlig unerwarteten Reim anzubringen und das Publikum explodiert vor Glückseeligkeit. Falls nicht, ist das der Karrietod des Inszeneurs. Deshalb Libretto Mortale.


  • Nun denn, schreiten wir zum Beginn. Es heißt, "es schläft ein Lied in allen Dingen". Besonders schläfrig ist das mikronationale Volk in Sachsen Lyrik. Immerhin erfahren wir in dieser kleinen Einstimmung, dass nu 1% der Leute Gedichte mögen. Demnach war keine rege Beteiligung zu erwarten, doch jene, die teilgenommen haben, können sich zu Recht zur Poetenelite zählen und das Königreich Rokokolores hofft, diese kleine Elite mit dieser Veranstaltung stärken zu können.


    Bevor es losgeht, möchte ich auch eines meiner eigenen berühmtesten Stücke präsentieren. Natürlich außerhalb der Wertung, da sonst der 1. Platz klar wäre und ich kann mich ja nicht selbst adeln. Es handelt sich um einen kurzen, aber um so wirkungsvolleren selbstverfassten Vers aus meiner Sammlung "Ratschläge für den Fürsten" vortragen. Er fand sowohl in Rokokolores als auch in Dreibürgen reißenden Beifall.


    *räusper*


    Wenn du denkst, es geht nichts mehr
    von Flamingo Raffamoneti

    Wenn du denkst, es geht nichts mehr,
    und du weinst bitterlich sehr
    und nach dir greifen finstere Hände,
    dann ist es zu Ende, Comprende?

    Danke, Danke!



    Doch kommen wir nun zu den Beiträgen. Ich werde die Stücke nun allesamt verlesen. Im Anschluss kann jeder Marktplatzteilnehmer bis einschließlich den 19. August abstimmen, indem er in einem Posting 10 Punkte auf die Gedichte verteilt. Anschließend werden die Namen und Herkunftsländer der Autoren genannt und ein hoch Hofmathematiker führt die Auswertungsanalyse durch.


    Ich beginne mit der chronologischen Reihenfolge der Einsendungen:



    Teilnehmer 1:

    Der Baum


    Es sägt,
    ein Knicken ertönt,
    das Geräusch es prägt,
    und nichts beschönt


    Welche Gewalt ist hier im Spiel,
    und doch gar Liebe gibt es viel,
    in der stürmischen Taten Ziel.


    Er ächzend fällt,
    es krächzend kracht,
    nun hat es Rums gemacht.


    Dort liegt er leblos und tot,
    ein Ende fand seine Not,
    ein Sessel wird aus ihm,
    der dem Adel Gesäß zur Ziem.


    Der Baum, er war einmal.



    Teilnehmer 2:
    Erlkönigs Enkel


    Gleißend geblendet ohne Gebrill
    Sucht schimpfend die Sehhilfe


    Erlkönigs einziger Enkel
    Klagend sein misslich Geschick.


    Gegangen sind Gestell wie Gläser
    Verschwunden seit Vorgestern


    Ungemach dräut unter Umständen
    Voll Frust, feiste Futterale
    schaut euer Schöpfer!



    Teilnehmer 3:
    Nachtklage einer früh verwitweten, doch noch mit dem schattenhaften Glanz der ersten Liebe behafteten Strohhutverkäuferin am Wegesrand.


    O, Öd! O, kahles, weites Land!
    Fürwahr, ist’s mir ein Herzensgruß,
    Wenn nähmest Du mich an der Hand;
    Und ganz in meinem Seelenfluß
    In lieblich-innigem Verband,
    In lieblich-innigem Verband.


    Ach, Alter! Ach, schmerzend ruhiger Tod!
    Singt noch die Nachtigall,
    Verführt durch kühnes Abendrot,
    Ihr trauerflorend Madrigal,
    So ist auch sie bedroht,
    So ist auch sie bedroht.


    Hier, Himmel! Hier, sel’gem Ende Licht!
    Vernimm mir meiner Klage Wort,
    Und sieh dem Leid ins Angesicht;
    Entführe mich ins Dunkel fort,
    Und ende dies Gedicht,
    Und ende dies Gedicht.



    Teilnehmer 4:
    Auszug aus einem Amtsantwortscheiben


    Die Beschwerde wird im allgemeinen von keinen konkreten Vorschriften erfassten und daher üblich und nach billigem Ermessen gestalteten und durchgeführten Verwaltungsumlageverfahres durch die der sachlich und inhaltlichen Probleme entsprechend zuständigen Stellen in einem für solche Verwaltungsumlageverfahren bei gleichzeitiger sachlich und inhaltlich Zuständigkeit mehrerer Amts- und Verwaltungsstellen der königlich rokokolorischen Verwaltung angemessenen Zeitrahmen unter Einsatz aller dazu erforderlich erscheinenden Kapazitäten personeller und materieller Art vorerst ignorativ bearbeitet.


    Sollte mir eine Zusendung abhanden gekommen sein, bitte ich darum, mich schnell noch darauf hinzuweisen, damit ich sie noch einfügen kann. Ich bin nochmal alle Foren durchgegangen, aber mir sind sonst keine weiteren Einsendungen aufgefallen.


    Und nun bitte ich um Ihre Abstimmung. Verteilen Sie Ihre 10 Punkte nach freiem Gedünken auf die Gedichte.

  • Teilnehmer 1: 1 Punkt, da die falsche Klassenperspektive gewählt ist. Wieviel würde das Gedicht gewinnen, wenn es um einen werktätigen Hintern ginge, der den von anderen Werktätigen des VEB Forstwirtschaft produzierten Stuhl im örtlichen Kulturhaus nutzte! Außerdem zu bürgerlich-romantisierend. Ein Punkt.
    Teilnehmer 2: 6 Punkte, Ausgezeichnetes Werk, welches unabhängig von der Klassenzugehörigkeit (immerhin handelt es sich um den Enkel eines Königs) die Probleme des modernen Werktätigen in der sozialistischen Gesellschaft aufzeigt.
    Teilnehmer 3: 1 Punkte, richtigerweise ein Stück über eine gealterte Werktätige im Kapitalismus, die gegen die Vorenthaltung einer staatlichen Rente und die mangelnde Gesundheitsvorsorge (ihr Mann ist früh gestorben) kämpft. Leider wird die einzig logische Konsequenz, der Beginn der Revolution der werktätigen Massen unter Führung und Anleitung der entsprechenden Partei, ausgeblendet und ignoriert. Dazu kommt kleinbürgerlicher Stil.
    Teilnehmer 4: 2 Punkte. Ein realistisches Stück aus dem Alltag. Schade, dass es sich nur um einen Auszug handelt, deshalb Punktabzug. Bestimmte Werke können nur in einem sichtbaren Gesamtzusammenhang wirken. ebenso wurde der Klassenstandpunkt nicht deutlich genug herausgearbeitet.


    Alles in allem ein wundervoller und wichtiger Wettbewerb, der wiederholt werden sollte!

  • Es macht den Eindruck, dass sich tatsächlich Qualität durchsetzt und das werte Auditorium meiner Bewertung folgt. Sehr löblich sehr vernünftig, kann ich da nur sagen. Ich hoffe, die Hofmathematiker verrechnen sich nicht!


    So, es droht eine Diskussion um Urheberschaft oder nicht :) Hat der Presi selbst gedichtet oder nur bearbeitet? Ein schicker Fall für die Abteilung Medienrecht...

  • Sehr geehrte Freunde de rPoesie,


    ich bin überwältigt von der Teilnahme, das war nicht zu erwarten. Unserem landeseigenen Akademikers Dr. Chaoso zufolge hätte gar keine Beteiligung stattfinden können. Seine Logik: Alle an gedichten interessierten PErsonen, schicken Gedichte ein, stimmen der Fairnesshalber aber nicht ab. Alle an Gedichten nicht interessierten PErsonen (99% der Menschheit), stimmen nicht ab, weil sie sich ja nicht interessieren. Folglich dürfte es keine Abstimmung geben.


    Dass nun die veranstaltung wider allen Erwartens auf ein solches Echo stößt, bestärkt mich darin, meine Heimat zu einer Künstlerstätte zu machen. Doch warten wir erst einmal ab, wie der Sieg ausfällt. Ich habe die Daten der Königlichen Akademie von rokokolores übermittelt und erwarte gespannt die Ergebnisse der mathematischen Analyse.